Badgeschichten
Wenn Sie denken, dass Sie allein im Hause sind, täuschen Sie sich gewaltig. Und damit sind nicht die achtbeinigen, für weibliche Schreikrämpfe verantwortlichen Mitbewohner gemeint. Oder die allzeit regierende Hauskatze. Nein, die ganz einfachen Dinge und Helferlein des Lebens haben mehr in sich, als man denkt. Und sie reden miteinander. Über sich und die Bewohner und das Leben. Woher ich das weiß? Nein, ich habe nichts geraucht. Stellen Sie sich doch mal ins Bad, löschen Sie das Licht und tun Sie so, als würden Sie den Raum verlassen. Tür auf, Tür zu. Stille. Irgendwann, wenn der letzte Tropfen Wasser getropft und der letzte Abfluss gegurgelt ist, beginnen vorsichtig die ersten Worte zu plätschern.
Im dreistöckigen Eckregal in der Dusche hört man ein leises Nörgeln. "Zu eng. Es ist zu eng!" beginnt ein Spezialshampoo eines Discounters auf recht billige Art zu meckern. "Was is zu eng?" schnauzt das Sportduschbad aus der untersten Etage. "Es wird immer enger. Man kann kaum noch stehen. Das sind doch Zustände wie in der Straßenbahn im Neubauviertel!" erwidert das Spezialshampoo, das damit prahlt, besonders im Winter und bei trockener Heizungsluft, gestresstes Haar schützen und nähren zu können. "Hab dich nicht so mädchenhaft!" blaffte ein Mädchenshampoo mit Beerenanteil zurück. "Wo bin ich denn hier hingeraten?" fragte der Anti-Breakage Conditioner mit hochnäsigem, westdeutschen Dialekt. "Offenbar in einen Saustall" kam es von dem Duschgel, das meinte, aus Milch und Kirschblüten gemixt worden zu sein. "Wieso ist es denn so eng? Das war doch vor nem Jahr noch nicht so?" warf nun das Spezialshampoo erneut in die Runde. Keine Antwort. "Wie viele sind wir denn eigentlich?" fragte eine Dusch-Soft-Milch mit irgendeiner Butter. Leises Gegrummel war zu hören. Plötzlich ertönte eine feste und klare Stimme aus der anderen Ecke des Raumes. "Mitseifen und Mitspüler, ich kannte Zeiten, da war ich hier mit einem Handtuch und einem Haarwasser alleine. Und es ging auch!" "Wer bist Du denn?" fragte aus dem Eckregal ein Kindershampoo mit einer Prinzessin drauf und vielen Zusätzen drin. "Ich bin der Härteste hier im Raum. Ausgekocht, gepresst, in Stücke geschnitten, auf den Boden geworfen und nun liege ich hier auf meiner Holzliege am Waschbecken und höre eurem Gesabbel zu." "Und wenn Du so schlau bist, dann erklär du doch mal, warum es immer enger wird im großen Regal." provozierte mutig die kleine Tube After Colour Care, die nicht mal selber wusste, wozu sie eigentlich da war. "Wie wäre es denn, wenn wir erst mal durchzählen?" fragte die Seife. Allgemeine Zustimmung raunte durch Fliesen und Handtücher. "Also, Mitseifen und Mitspüler, wir beginnen in der oberen Etage, dann nach unten, dann der Sims über dem Spülkasten, der Fensterstock, sofern sich jemand angesprochen fühlt, der Innenraum des Wandschrankes, aber laut und deutlich rufen bitte und als letztes bin ich dran. Wer beginnt?" "Ich" wisperte es aus dem Regal. "Und das ist bitte wer?" fragte die Seife genervt. "Ich bin eine Body Lotion mit Vanillegeschmack" "Was zur Hölle machst Du in der Dusche?" brüllte das Spezialshampoo wie aus der Pistole geschossen. "Wir sind zu zweit und wir wissen auch nicht, was wir hier sollen." "Da müssen wir uns ja nicht wundern, dass wir uns gegenseitig die Verpackung aufscheuern." "Ruhe jetzt! Wir wollen zählen. Also nochmal. Die Lotion beginnt und bei mir endet es. Alles klar? Los geht`s!" Langsam startete die Zahlenreihe. "1, 2, 3,.....17,18,18!" "Was ist denn jetzt schon wieder." fragte die Seife. "Der hat gleichzeitig mit mir 18 gesagt, obwohl ich jetzt dran bin." jammerte ein After Sun Duschgel über seinen Nachbarn. "Deine Saison ist ja auch vorbei. Wieso stehst Du nicht im Schrank?" kam es nebenan von irgendeiner scheuernden Gesichtsmaske mit Tonerde." "Und Dich müssen wir immer mit Mühe runterwaschen obwohl es danach auch nicht besser aussieht!" feuerte das Duschgel zurück. "Schnauze und weiterzählen. Das Duschgel ist die 18" befahl die Seife. "18,19,20..." "Was kommt denn jetzt für eine Zahl?" war eine dünne Stimme zu hören. "Wer fragte denn sowas?" hörte man den arroganten Conditioner belustigt einwerfen. "Ein Shampoo für besonders blondes Haar." erwiderte ein kleines Hotelmitbringsel für Haut und Haare, das nur noch einen halben Teelöffel in sich hatte und entsprechend hohl klang. "Also weiter. Blondie ist die 21 und ab geht´s." 22,23,24,25,26.." "Soll ich auch mitmachen?" kam eine Stimme aus dem Nichts. Ruhe im Bad. "Wer spricht da?" fragte die Seife. "Ich bin hier?" hörte man es erneut irgendwo aus dem Fenster sprechen. "Ich sehe nichts." sagte die Seife. "Ich bin eine Probepackung Heilerde und ganz flach." "Dann nimmst Du keinen Platz weg und musst nicht mitmachen. Weiter im Text." "27,28,29, droisüsch", raunte ein kleines Kinderduschbad aus dem Inneren des Badschrankes. "31" beendete die Seife die Aufzählung. "Und ich?" kam es aus der Ecke des Simses. "Wieso hast Du nicht mitgezählt und wer bist Du?" fragte die Seife genervt. "Ich bin ein Rescue Shot und ich habe mich nicht angesprochen gefühlt." antwortete die kleine Packung. "Ein WAS?" kam es vielstimmig aus dem Regal. Sogar die beiden bereits komplett leeren Apfel- und Hair and Body Shampoos rappelten sich wieder auf, obwohl Sie gedanklich längst im gelben Sack waren. "Wenn man mal rein von der Übersetzung und Beschreibung auf Deiner Rückseite ausgeht, kann einem ja Angst um Deine Benutzer werden." kam es von einem Haarwasser, das freien Blick auf den Shot hatte. "Also Rescue heißt ja Rettung, also bist du sozusagen der letzte Schuss, bevor die Matte ausfällt oder wie?" Das Spezialshampoo bekam eine Lachkrampf. "Nein ich bin aus Superfood gemacht" entgegnete der Shot stolz. "Woraus denn genau? Aus Hühnersuppe?" krähte das Spezialshampoo und lachte aus vollem Hals weiter. "Ich muss doch bitten!" rief die Seife. "Es gibt ja wohl genügend unter Euch, deren tieferer Sinn auch nach mehrfachem Lesen des Beipackzettels nicht zu ergründen ist. Und der Nutzen auch nicht. Wie viele von Euch sind denn eigentlich den weiblichen Bewohnern unseres Hauses zugeteilt?" Allgemeines Gemurmel. "Andersherum. Da ist das Zählen deutlich kürzer. Wer von Euch ist denn den männlichen Bewohnern im Hause zugeteilt." "Ich" "Ich auch" kam es aus der untersten Regaletage. "Das war alles?" fragte die Seife? Keine weitere Wortmeldungen. "Und wer seid Ihr?" "Wir sind zwei Duschbäder" "Warum zwei?" "Es gibt zwei Männer." "Aha. Und was könnt Ihr?" "Wir machen sauber und riechen gut." "Was?" "Na alles. Zur Not kann man mit uns auch den Boden wischen oder das Auto putzen." "Flüssige Brüder!" entfuhr es der Seife. "Mehr braucht es nicht. Und schon gar nicht 31!" "Was wird denn jetzt aus der Frage?" piepste das Mädchenshampoo mit Beerenfrüchten. Die Seife rollte mit den Augen. "Ich sehe Euch nun schon viele Monate zu, wie ihr mehr und mehr werdet. Manche von euch sind schon leer und würden von alleine gar nicht mehr stehen. Manche gehören nicht hierher. Manche haben keine Saison. Andere stehen nur noch hier, weil man sie mal geschenkt bekommen hat, sich aber nicht traut, sie wegzuwerfen. Und manche sind schlicht überflüssig. Wenn hier nur stehen würde, wer wirklich gebraucht wird, hätte jeder eine Etage vom Regal für sich und könnte die Beine über den Rand baumeln lassen." "Ich habe aber keine Beine." kam es vom Shampoo für besonders blonde Haare. "Das war eine Metapher!" schrie die Seife und fügt wütend hinzu. "Und das ist nichts zu essen!" Das ist dann der Moment, in dem Sie das Licht wieder einschalten und die ausufernde Diskussion somit beenden sollten. Und in Zukunft schauen Sie selbst eine Tube Rhabarberduschgel mit ganz anderen Augen an.